Als veritable Familienkrise wird der Streit der Schwesterparteien CDU und CSU in der politischen Zeitachse mit der Jahreszahl 2018 hängen bleiben. Der Bundesinnenminister, in gewichtiger Person von Horst Seehofer hegte Gedanken, die deutschen Grenzen gegen illegale Migration quasi dicht zu machen. Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, setzte sich allerdings durch und konnte sich mit der Idee von bilateralen Abkommen durchsetzen, dass Migranten, die an der deutschen Grenze aufgegriffen werden, aber bereits in anderen EU- Staaten registriert wurden, wieder dorthin zurückgeführt werden.
So, als würde das Dublin III- Abkommen nicht existieren, werden längst etablierte, verpflichtende Vereinbarungen ignoriert und zweifellos zum Nachteil Deutschlands durch neue ersetzt. Man darf kritisieren, dass jenes Dublin III- Abkommen nicht mehr der aktuellen Migrationssituation gerecht wird und Staaten mit EU- Außengrenzen benachteiligt. Aber rechtfertigt diese Erkenntnis, dass man zusätzliche Abkommen vereinbart, die eben jenes europäische Gesamtkonstrukt aushebeln?
Im Dublin III- Abkommen sind Rückführungen folgendermaßen definiert:
Das sogenannte Dublin-Verfahren regelt, dass Asylbewerber in dem Land zu registrieren sind, in dem sie die Europäische Union betreten. Dieser EU-Staat ist auch für den Asylantrag zuständig. Dieses Verfahren soll sicherstellen, dass jeder Asylantrag nur von einem Mitgliedstaat inhaltlich geprüft wird.
Stellt sich im Gespräch mit dem Asylsuchenden heraus, dass der Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat zu bearbeiten ist, wird dieser Staat gebeten, den Antragssteller zu übernehmen (sogenanntes Übernahme- oder Wiederaufnahmeersuchen). Stimmt der Mitgliedstaat zu, erhält der Antragsteller hierüber einen Bescheid. Anschließend vereinbaren beide Staaten, wie der Asylbewerber in den ersten Staat zurückkehrt.
Quelle: Bundesregierung
Das mit Spanien nun ausgehandelte Abkommen stellt sich so dar:
Die Bundesregierung hat das angekündigte Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen nach Spanien geschlossen. Somit könnten bereits in Spanien registrierte Flüchtlinge binnen einer Frist von 48 Stunden in das Land zurückgeschickt werden, sagte Eleonore Petermann, Sprecherin des Bundesinnenministeriums, in Berlin. […] Es geht um Menschen, die an der deutschen Grenze aufgegriffen wurden, für deren Asylantrag aber Spanien zuständig ist. […] Von spanischer Seite seien keine Gegenleistungen gefordert worden.
Quelle: Welt
Worin besteht nun der Unterschied?
Tatsächlich sind es Wortspielereien, die man je nach Interesse auslegen kann. Die Registierung ist die erste Maßnahme im Asylverfahren. Weitere Schritte im Asylverfahren, z.B. die Anhörung, finden in der Regel nicht unmittelbar im Anschluss statt und es können bis dahin Monate vergehen. Entzieht sich ein Migrant erfolgreich dieser Registrierung, wird die Feststellung, welcher Staat für das Asylverfahren zuständig ist, schwierig.
Das Dublin III- Abkommen offenbart hierbei schon Defizite. Unter Umständen beginnt in solchen Fällen ein Zuständigkeitskonflikt, der mit Fristen verbunden ist. Kann Deutschland (als Beispiel herangezogen, was so auf jeden EU- Staat gleichermaßen zutrifft) innerhalb dieser Frist nicht zweifelsfrei nachweisen, dass für das Asylverfahren ein anderer EU- Staat zuständig ist, fällt automatisch die Zuständigkeit in die Verantwortung von Deutschland. Dass es hierbei nicht um Einzelfälle geht, kann man sich sicher vorstellen. Denn auch potentielle Asylbewerber wissen das und versuchen demzufolge, sich einer Registrierung in einem Land, wo sie keinen Asylantrag stellen wollen, zu entziehen. Ebenso sind Migranten und oft auch deren Helfer einfallsreich, um Fristen verstreichen zu lassen.
Wie wirkt sich nun das mit Spanien quasi parallel abgeschlossene Abkommen aus?
Im Prinzip gar nicht. Denn bereits nach dem Dublin III- Abkommen könnte Deutschland in Spanien registrierte Asylbewerber dorthin zurückführen. Das zusätzlich vereinbarte Abkommen macht Rückführungen eigentlich schwieriger. Denn die Frist für eine Rückführung von ausschließlich an der deutschen Grenze aufgegriffenen Asylbewerbern mit nachweislicher Registrierung in Spanien, hat sich drastisch minimiert. Was geschieht, wenn diese Frist überschritten wird? Das kann schnell passieren, wenn die deuschen Behörden nicht schnell genug die Person in der Eurodac- Datenbank finden. Banale Dinge, wie fehlende Zugriffsrechte, Verbindungsprobleme oder verzögerte Eintragungen können da für Fristüberschreitungen sorgen…
Wesentlich dramatischer ist jedoch, dass nach diesem Einzelabkommen nicht registrierte Migranten nicht mehr in das Land zurückgeführt werden können, auch wenn man nachweisen kann, dass die Person dort europäischen Boden zuerst betreten hat. Dass diese Länder mit europäischen Außengrenzen auch verständlicherweise kein großes Interesse an solchen Rückführungen besitzen, dokumentiert dieses Beispiel:
Spaniens Rotes Kreuz, das im staatlichen Auftrag handelt, hilft den Migranten, die Reise fortzusetzen: Von Südspanien aus werden die Flüchtlinge mit Butterbrot, Wasserflasche und einem Busticket weiter geschickt – Richtung Norden. So verfahren alle südspanischen Küstenorte, die von Migranten angesteuert werden.
Quelle: Tagesspiegel
Der Trend wird sein, dass EU- Staaten mit europäischen Außengrenzen nach Möglichkeit so wenig Migranten wie möglich registrieren. Den großen Wurf haben damit Angela Merkel und Horst Seehofer nicht gemacht. Eine europäische Lösung, wie sie die Bundeskanzlerin anstrebte, ist in noch weitere Ferne gerückt. So hat man unter der Gesichtswahrung beider Politiker einen faulen Kompromiss geschlossen, der womöglich schlimmere Folgen haben könnte als man es dem Seehofer’schen Alleingang mit den geschlossenen Grenzen für illegale Einreise prognostizierte…