Laut einem Artikel der Berliner Morgenpost ist im Umfeld des Berliner Tiergartens eine Prostituierten- Szene von jungen Flüchtlingen entstanden. Die Überschrift des Artikels lautet:
Mehr junge Flüchtlinge in Berlin müssen sich prostituieren
Im relativ detaillosen Beitrag wird folgender Kausalzusammenhang dargestellt:
Hilfsorganisationen schickten demnach Streetworker in den Park, um die Flüchtlinge aufzuklären und ihnen Unterstützung anzubieten. Viele würden aus den Hilfesystemem herausfallen, sobald sie das 18. Lebensjahr vollendet hätten. Die jungen Männer dürften zum größten Teil nicht zur Schule gehen oder einen Deutschkurs machen. Auch sei ihnen nicht erlaubt, eine Arbeit aufzunehmen.
Es klingt unvorstellbar, dass Flüchtlinge, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, dadurch aus dem Hilfesystem herausfallen würden. Wenn man unter dem Begriff „Hilfesystem“ die staatliche Unterstützung von Asylbewerbern versteht, ist das definitiv eine Falschaussage. Es wird suggeriert, dass Flüchtlingen Schulbesuche, Deutschkurse sowie die Möglichkeit der Teilnahme am Berufsleben entzogen würde. Das sind schwere Vorwürfe an die verantwortlichen Behörden.
Andere Medien, wie die Welt berichten ebenfalls über dieses Thema.
Junge Flüchtlinge sehen sich zur Prostitution gezwungen
Allerdings werden die Hintergründe etwas deutlicher. Sie greifen auf den Ursprungsartikel des Radiosenders RBB|24 zurück, während sie sich eine sehr eigenwillige Beurteilung zugestehen.
Junge Flüchtlinge prostituieren sich im Tiergarten
Dort wird primär die Situation eines 18. Jährigen aus Afghanistan geschildert. Kurioserweise soll sich dieser nach eigenen Angaben selbst allerdings gar nicht prostituiert haben. Zwar ist die Existenz der Prostitution dort definitiv nicht wegzuleugnen, jedoch wird hierfür keine Primärquelle konsultiert.
Als wir Nawid fragen, wovon er lebt, ob er sich prostituiert, grinst er kurz, schnalzt mit der Zunge und schüttelt dann energisch den Kopf: „Nein, ich mache das nicht, aber es gibt hier Jungs, die mit älteren Männern Sex haben, zum Beispiel ein Freund von mir.
Der Begriff „Flüchtling“ wird ziemlich überstrapaziert und soll augenscheinlich eine Opferrolle unterstreichen. Genaugenommen wird das Schicksal dieses jungen Mannes stellvertretend für viele andere aufgezeichnet und daraus geschlussfolgert, dass diese Prostitutions- Szene durch eben solche Personen etabliert würde. Das mag stimmen, allerdings sollte man den Einzelfall betrachten und nichts hineininterpretieren, was nicht nachgewiesen ist. Aber hier geht es nicht darum, zu beurteilen, ob es eine solche Szene gibt und wie diese sich zusammensetzt. Es geht um die Artikelüberschrift, die durchaus als massiven Vorwurf an die Behörden verstanden werden kann. Im Bericht des Senders findet man im Gegensatz zum Artikel der Berliner Morgenpost eine aufschlussreiche Passage:
Im schummrigen Licht der Straßenlaterne zeigt er uns seine Papiere: ein Einreisedokument aus Slowenien von Januar 2016 und einen Ausweis eines Verkehrsverbunds in Sachsen-Anhalt, auf dem sein Geburtsdatum steht. Nawid ist 18 Jahre alt. Er hat außerdem eine Duldung bei sich, die rot durchgestrichen ist. Das bedeutet, dass er abgeschoben werden soll. Als er davon erfahren hatte, sei er abgehauen, erzählt Nawid. Jetzt will er sich in Berlin durchschlagen: „Ich habe kein Geld und kann nirgends hin, weil sie mich sonst festnehmen“, sagt Nawid.
Das erklärt dann einiges. Der abgelehnte Asylbewerber sollte demnach abgeschoben werden und dieser ist untergetaucht, um sich der Abschiebung zu entziehen. Der junge Mann hält sich demnach illegal in Deutschland auf, was wiederum erklärt, wieso er keine Schule besuchen darf, keinen Deutschkurs bewilligt bekommt und auch vom Staat keine Unterstützung erfährt. Die Situation stellt sich völlig anders dar, als es der Artikel der Berliner Morgenpost suggerieren möchte. Bei allem Verständnis für das sicherlich schlimme Schicksal des jungen Mannes aus Afghanistan, Flüchtlinge werden sicher nicht zur Prostitution wegen der Unterstützungsverweigerung der Behörden gezwungen.
Update vom 19. April 2017:
Der Tagesspiegel hat sich nun auch diesem Thema angenommen. Im Artikel (Wie Flüchtlinge in die Prostitution abdriften) wird inklusive der Überschrift der Begriff „Flüchtling“ 17 mal verwendet.
Eine ganze Szene hat sich entwickelt, sie besteht zum Großteil aus Flüchtlingen.
Der Interviewpartner, Herr Ralf Rötten von der Organisation „Hilfe für Jungs“ bestätigte Falschmeldung.info gegenüber, ausschließlich den Begriff „Geflüchtete“ verwendet zu haben. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Die Aussagen im Artikel des Tagesspiegels sind demnach unrichtig.
Auch der Tagesspiegel lässt sich zu einem konkreten Fall hinreisen:
Rötten kennt den Fall eines abgelehnten Iraners, der in seiner Heimat wegen Vergewaltigung angeklagt wurde. Darauf steht die Todesstrafe. In Wirklichkeit hatte der Mann nur vorehelichen Sex. Jetzt kehrt er nicht zurück.
Leider versäumt es der Tagesspiegel, wichtige Details zum selbst vorgebrachten Beispiel zu erwähnen. Woher weiß Herr Rötten offensichtlich so genau, dass dieser Iraner fälschlicherweise in seiner Heimat wegen einer Vergewaltigung angeklagt wurde? Oder wird dieses konkrete Beispiel vom Tagesspiegel nach eigenem Ermessen umgedeutet?
Herr Rötten gibt Falschmeldung.info gegenüber an, dass ihm ein Anklageschreiben wegen Vergewaltigung der iranischen Staatsanwaltschaft vorgelegen habe und der iranische Kulturmediator des Vereins erklärt habe, dass vorehelicher Sex im Iran als Vergewaltigung eingestuft würde. Die Wirklichkeit, die vom Tagesspiegel in diesem Fall suggeriert wird, erweist sich als ziemlich zuvorkommend gegenüber einem mutmaßlichen Vergewaltiger. Denn selbst wenn das Strafmaß für vorehelichen Sex im Iran mit Vergewaltigung gleichzusetzen sein sollte, ist es doch eher zweifelhaft, dass in der Anklageschrift der Straftatbestand nicht exakt benannt wird. Und sollte es sich dennoch um ein perfides Wortspiel der iranischen Justiz gehandelt haben, ist es ausgesprochen seltsam, dass in der Anklageschrift nicht auch der weibliche Sexualpartner aufgeführt wurde. Denn die Frau hat sich der gleichen Tat strafbar gemacht, auch wenn man aus Sicht der hiesigen Gesetzgebung gar keine Straftat feststellen würde. Und was ist eigentlich mit der Frau geschehen?
Es ist nachvollziehbar, dass jemand nicht in ein Land zurückkehren will, wo ihn möglicherweise die Todesstrafe erwartet. Aber genau das wäre ein sehr guter Grund, Asyl zu erhalten und eine Abschiebung in den Iran würde unter diesen Umständen nicht der schärfste Beamte im BAMF anordnen. Es ist durchaus im Bereich des Möglichen, dass der Iraner gar nicht in den Iran abgeschoben werden sollte, sondern unter solchen Umständen bestenfalls in das EU- Land zurückgeführt werden sollte, wo er erstmals registriert wurde. Das sind ebenfalls reine Spekulationen, soll aber zur umfänglichen Beurteilung beitragen, soweit das überhaupt möglich sein sollte.