In sozialen Netzwerken wird das Thema „Flüchtlinge“ so kontrovers diskutiert wie kaum ein anderes. Sachlichkeit ist dabei selten und die Fronten zwischen Gutmenschen und Besorgtbürgern bleiben verhärtet. Wenn Argumente fehlen treten Beleidigungen an deren Stelle. Wieso kann man eigentlich nicht anständig miteinander umgehen, auch wenn man anderer Meinung ist?
Vielleicht wäre es hilfreich, sich auf so wenig Sachverhalte zu konzentrieren wie möglich und Ausschweifungen zu vermeiden. Und die Anerkennung von Fakten ehrt jene, die sich davon überzeugen lassen mehr als Personen, die andere öffentlich vorführen oder gar mit verbalen Fäkalattacken erniedrigen wollen.
Und nun zu einigen Punkten in der Flüchtlingsthematik, die immer wieder zu Auseinandersetzungen in den Kommentarspalten provozieren:
Abschiebung nach Afghanistan bzw. in nicht sichere Herkunftsländer:
In einem Artikel des Focus wird die Abschiebung von 27 Afghanen thematisiert. Diese Abschiebungen wurden von Demonstranten am Frankfurter Flughafen begleitet und kritisiert.
Deren Argument ist eigentlich schlüssig und nachvollziehbar. Afghanistan ist aktuell kein sicheres Herkunftsland. Darüber braucht man eigentlich nicht zu diskutieren, das steht als Faktum fest. Auch wenn die Bundesregierung verschiedene Regionen als sicher definiert, kann das kein Maßstab für die dortige Realität sein. Als Deutscher würde wohl kaum jemand freiwillig nach Afghanistan gehen wollen. Aber bereits dieser Vergleich hinkt gewaltig. Es lässt sich darüber spekulieren, für wen der Aufenthalt in Afghanistan gefährlicher ist. Im Vergleich zu Berlin, London oder Paris ist Kabul deutlich gefährlicher. Aber selbst in Afghanistan gibt es Städte, die von Terroranschlägen weniger betroffen sind als die großen europäischen Metropolen. Entscheidend für die Sicherheit ist in diesem Fall der spezifische Aufenthaltsort, weniger das Land.
Hassan H., auch 19 Jahre alt, sagte, er habe zwei Jahre und sieben Monate lang gesessen. Er habe „einen Typen zusammengeschlagen und ihm eine Pistole an den Kopf gehalten“, weil er seine Freundin belästigt hätte. „Ich kann für fünf Jahre nicht nach Deutschland zurück, aber ich hole mir jetzt einen Pass hier und dann gehe ich in die Türkei, warte fünf Jahre und gehe nach Deutschland zurück“, sagte er.
Diese Aussage sollte zumindest Skepsis erzeugen, ob man nun glaubt, Afghanistan ist unsicher für Abgeschobene oder doch in Teilen sicher genug. Denn hier kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Haben verurteilte Straftäter, wofür niemand die Gewähr geben kann, dass sie eine Bedrohung für die Menschen im Zufluchtsland darstellen können und dies auch bereits unter Beweis gestellt haben, einen uneingeschränkten Anspruch auf Schutz und Versorgung? Ist die Unversehrtheit eines kriminellen Migranten höher zu bewerten als die Unversehrtheit der Bürger in diesem Land? Wenn diese Frage eindeutig zugunsten der abgeschobenen Straftäter beantwortet werden kann, sind solche Abschiebungen unverzüglich zu beenden.
Abgesehen von der Abschiebeproblematik ist bei genauer Analyse die Aussage dieses Hassan H. nicht schlüssig. Wenn er in Deutschland 2 Jahre und 7 Monate in einer Haftanstalt verbracht hätte, wäre er bereits im jugendlichen Alter von 16 höchstens 17 Jahren in den geschlossenen Vollzug gekommen. Nach Jugendstrafrecht und der von ihm angegebenen Delikte ist das ausgeschlossen. Seine Aussagen können schlicht nicht der Wahrheit entsprechen. Schließlich er kündigt sogar schon seine illegale Rückkehr an. Die Motivation, ausgerechnet nach Deutschland zu kommen, scheint sehr hoch zu sein und hat mit Flucht vor Verfolgung und Tod eigentlich nichts zu tun. Er könnte ja durchaus auch in der Türkei bleiben, wo er sowieso temporär hin will.
Ebenfalls ist ein weiterer Aspekt von entscheidender Bedeutung. Wenn man Menschen generell nicht in Länder abschieben darf, wo diesen Tod, Verfolgung oder Folter droht, wohin kann man dann überhaupt noch Leute abschieben? Quasi könnte ein Asylbewerber diese Argumente für jedes beliebige Heimatland vorbringen. Selbst in den USA gibt es in einigen Bundesstaaten noch die Todesstrafe. Nach diesen Kriterien dürfte ein dort verurteilter Massenmörder, der die Flucht nach Deutschland geschafft hat, nicht abgeschoben werden. Im Umkehrschluss bedeutet das, wer es als Asylbewerber bis nach Deutschland geschafft hat, kann dauerhaft bleiben, völlig ungeachtet des Ergebnisses seines Asylbescheides. Die hohen Zahlen von „Geduldeten“ bestätigen weitgehend dieses Dilemma…
Verteilung von „Flüchtlingen“ in der EU:
Die EU möchte sich immer gern als Solidargemeinschaft präsentieren. Solange jeder Mitgliedstaat davon profitiert, gelingt das auch. Doch die Flüchtlingskrise verdeutlicht die Uneinigkeit innerhalb der EU. Vehement weigern sich Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei, gern als sogenannte Visegrad- Staaten bezeichnet, gegen die von der EU beschlossene Verteilung von Flüchtlingen. Über die Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Die Fakten lassen sich allerdings nicht leugnen.
Kritiker dieses EU- Beschlusses, wonach Flüchtlinge nach Quoten auf die Mitgliedstaaten verteilt werden sollen, argumentieren gern mit dem Alleingang von Bundeskanzlerin Merkel im September 2015. Sie habe schließlich damals die Grenzöffnung angeordnet und damit eine regelrechte Flüchtlingslawine ins Rollen gebracht. Man kann schließlich nach einem solchen Alleingang nicht andere EU- Staaten dazu verpflichten, diese Politik zu übernehmen und es als solidarische Verpflichtung anzusehen. Man muss in der Beurteilung dieses Sachverhaltes allerdings möglichst alle Umstände einbeziehen. Was war eigentlich im September 2015 genau geschehen?
Tausende Migranten sind am Keleti- Bahnhof in Budapest gestrandet, die über die Balkanroute nach Mittel- und Nordeuropa ziehen wollten. Es bahnte sich eine humanitäre Katastrophe an und es war auch mit Gewaltausbrüchen zu rechnen. Victor Orban drohte damit, die Migranten an die Grenze zu Österreich zu bringen. Der damalige Bundeskanzler Faymann bat daraufhin Bundeskanzlerin Merkel um Hilfe. Diese entschied quasi im besagten „Alleingang“, die Migranten nach Deutschland einreisen zu lassen. Inwieweit sie als Bundeskanzlerin dazu befugt war, wird kaum thematisiert. Nach Recherchen der
Zeit hat Merkel erst im Anschluss an ihre Entscheidung die Parteichefs der Koalitionspartner Sigmar Gabriel und Horst Seehofer in Kenntnis gesetzt. Letzterer hatte sie gar nicht am gleichen Tag erreichen können und es war der Beginn eines internen Scharmützels der beiden Unions- Führer. Der Bundestag war demnach überhaupt nicht involviert und die Bundesregierung nur in Person von Angela Merkel. Ihre halbherzige Rechtfertigung mit den historischen Worten „Wir schaffen das“, war der Beginn einer beispiellosen Spaltung der deutschen Gesellschaft in „Bahnhofsklatscher“ und „Gutmenschen“ auf der einen Seite und „besorgte Bürger“ und „Besserdeutsche“ auf der anderen. Dazwischen gab es keinen Platz für mehr oder weniger neutrale Positionen. Innenpolitisch darf man die Entscheidung von Merkel als enormen Fehler beschreiben, humanitär allerdings absolut vertretbar.
Man kann Griechenland vorwerfen, die Außengrenzen der EU nicht unter Kontrolle zu haben, was sich ja auch aus geographischer Sicht außerordentlich schwierig gestaltet. Man kann den Balkanstaaten vorwerfen, dass sie die Migranten durch ihr Land ziehen ließen. Aber man muss vor allem den deutschen Behörden anlasten, diese Massenbewegung von Flüchtenden entscheidend beeinflusst zu haben. Ein unüberlegter Tweet auf der Microblogging- Plattform Twitter des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) löste die Flüchtlingslawine regelrecht aus.
Es war also das Verschulden einer deutschen Behörde, dass im Herbst 2015 so viele Migranten nach Deutschland kommen wollten. Das ist ein Hauptargument der Visegrad- Staaten gegen die Aufnahme von Migranten. Es gab von Seiten der Migranten keine Motivation mehr, sich in anderen EU- Staaten registrieren zu lassen. Das war mitunter auch die Ursache für die Eskalation am Keleti- Bahnhof in Budapest.
Seit dem 21. Oktober 2015 trat das Dublin- Verfahren offiziell für Deutschland wieder in Kraft. Es wurde ein Flüchtlings- Pakt mit der Türkei vereinbart und die Balkanroute wurde im Laufe des Jahres 2016 faktisch dichtgemacht. Dennoch hielt der Flüchtlingsstrom an, wenn auch in geringeren Mengen. Fortan schlugen die Migranten die enorm gefährliche Mittelmeerroute von Libyen nach Italien ein. Bei der Verteilung der Migranten innerhalb der EU geht es gar nicht um die Menschen, die seit September 2015 über die Balkanroute nach Deutschland gekommen sind. Hierfür ist Deutschland allein verantwortlich und kann auch nicht mehr nachträglich das Dublin- Verfahren geltend machen. Die Verteilung betrifft jene Migranten, die über die Mittelmeerroute in die EU gekommen sind und jene, die seither in Griechenland festsitzen. Hierfür sollte die EU als Solidargemeinschaft durchaus eine gerechte Umverteilung durchsetzen. Man kann weder Italien noch Griechenland eine Schuld zuweisen, dass sie unglücklicherweise die Außengrenzen der EU bilden. Und die Visegrad- Staaten sollten sich darüber bewusst werden, dass ihr Beitritt zur EU nicht nur dem eigenen Vorteil gilt, sondern daraus auch Verpflichtungen entstehen. Dazu zählt es, dass man sich an gemeinsame Mehrheitsbeschlüsse hält.