Fakenews von der Bundesregierung

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Es wurde eher als Randnotiz wahrgenommen und lässt sich ohnehin nicht nachvollziehen. Im Zuge der Ankündigung von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen über die Schaffung einer neuen Cyber- Truppe innerhalb der Bundeswehr, äusserte sie sich auch über die Cyber- Angriffe auf die IT- Infrastruktur der Bundeswehr.

Am 1. April nimmt das neue Bundeswehr-Kommando „Cyber- und Informationsraum“ (CIR) in Bonn offiziell den Dienst auf. Damit wird in Deutschland vollzogen, was in anderen Staaten und bei der NATO bereits Realität ist: Cyber-Krieger werden neben Heer, Luftwaffe, Marine zu einer eigenen Waffengattung.

Quelle: Deutschlandfunk

Tatsächlich handelt es sich keinesfalls um einen Aprilscherz, sondern immerhin um eine erhebliche Strukturreform der Streitkräfte. Hierfür dürfen entsprechende Gründe nicht fehlen, um den Bürgern diese Personal- und Materialaufstockung plausibel zu machen. Hierfür hatte die Verteidigungsministerin eine atemberaubend hohe Zahl:

Nach Angaben von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen verzeichnet die Bundeswehr tagtäglich rund 4500 Zugriffsversuche von außen auf ihre Netzwerke. Zahlreiche dieser Cyberangriffe müssen offenbar der „Gefahrenstufe hoch“ zugerechnet werden. Der Welt am Sonntag (16. April) sagte von der Leyen: „Viele dieser Angriffe sind automatisiert – da versucht ein Computernetzwerk automatisch durch unsere Firewalls zu gelangen.“ Viel gefährlicher seien da schon „die maßgeschneiderten Angriffe“, sogenannte APTs (Advanced Persistent Threats), hinter denen deutsche Sicherheitsbehörden vor allem offizielle Akteure fremder Staaten vermuten.

Quelle: Bundeswehr- Journal

An anderer Stelle klingt das so:

Dieser Tage hat das Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr den Dienst aufgenommen. Neben Heer, Marine und Luftwaffe verfügt das deutsche Militär nun auch über eine Waffengattung für den Cyber-Krieg. Die veröffentlichten Zahlen sind beeindruckend: In den ersten neun Wochen des Jahres 2017 habe es 284.000 Angriffe auf die IT der Bundeswehr gegeben, die abzuwehren waren.

Quelle: Tagesspiegel

Beide Zahlenspiele passen genau zueinander, wenn man sich schnöder Mathematik bedient. 31 Tage im Januar und 28 Tage im Februar ergeben zusammen 59 Tage. Hinzu kommen noch die ersten 4 Tage im März, während man eigentlich den 1. Januar 2017 korrekterweise wieder herausrechnen müsste. Wie dem auch sei, in etwa passen die 4500 Zugriffsversuche am Tag zu den 284000 in 9 Wochen zusammen.

Aus den Zugriffsversuchen werden im darauffolgenden Satz Cyberangriffe, was allerdings in der IT- Technik so nicht korrekt ist. Das gängige Betriebsystem- Kommando „Ping“ wird zum Beispiel permanent zu Analysezwecken im Netzwerk verwendet und sendet eine simple Anfrage an eine ausgewählte Zieladresse. Das ist durchaus ein Zugriffsversuch, allerdings in keiner Weise ein Cyberangriff. In der Datenkommunikation sind derartige gegenseitige Abfragen unerlässlich und völlig normal. Über Protokolle und Ports werden ständig Anfragen in Form von Datenpaketen untereinander ausgetauscht, vorwiegend um sicher zu stellen, dass die Systeme korrekt miteinander kommunizieren können. Das Versenden einer Email klopft regelrecht beim Empfänger- System an, um zu identifizieren, ob es sich um die richtige Zieladresse handelt und ob dieser Empfänger überhaupt erreichbar ist und das Datenpaket empfangen will. Die meisten Anfragen sind vollkommen harmlos und absolut erforderlich. Interessant wird der „PING“ Befehl, wenn man ihn mit dem Ziel „www.bundeswehr.de“ verknüpft:

Der Webserver der Bundeswehr gibt im Gegensatz zu den üblichen Antwortzeiten den Fehler einer Zeitüberschreitung aus. Offensichtlich verweigert ein Sicherheitssystem diesen banalen Zugriff und macht diesen gleichzeitig zum Cyberangriff. Das gleiche geschieht auch bei der Internetpräsenz der Bundesregierung. Hingegen kann man problemlos die meisten Internetadressen „anpingen“.

Tatsächlich ist es sogar möglich, über das „PING“ Kommando einen Cyber- Angriff auszuführen, der aber lediglich die Erreichbarkeit der entsprechenden Internetseite stören bis lahmlegen könnte. Hierbei spricht man von sogenannten DDoS- Attacken (Distributed Denial of Services), die eben bei konzentrierter Bündelung die entsprechende Internetpräsenz blockieren können. Das ist eher dramatisch für Online- Bestell- Portale und ähnliche Angebote.

Ein Werkzeug, wie beispielsweise ein Hammer, kann ebenfalls als Waffe missbraucht werden, bleibt aber dennoch in seiner Definition ein Werkzeug. So ist es auch bei Kommandos diverser Betriebssysteme zu verstehen.

Man darf also die Anzahl der von Frau von der Leyen publizierten Cyber- Angriffe durchaus hinterfragen. Ein Beispiel einer sogenannten Software- Firewall auf einen quasi inaktiven Computer mit Internetverbindung verdeutlicht, wie schnell harmlose Zugriffe als Angriffsversuche fehlinterpretiert werden können.

Bereits auf diesem ziemlich inaktiven Einzelsystem protokolliert die Firewall in kürzester Zeit sehr viele Zugriffe und blockiert diese auch, ungeachtet der Anfrage. Wenn es sich dabei nicht um Standard- Ports handelt, kann man kaum bis gar nicht feststellen, ob der Zugriffsversuch harmlos, gefährlich oder einfach auch nur zu Testzwecken stattgefunden hat. Es ist also gar nicht möglich, eine Zahl zu nennen, die die Höhe von Cyber- Attacken nur annähernd bestimmen könnte. Man kann bestenfalls die eingehenden Anfragen hierfür herausfiltern und pauschal von Zugriffsversuchen sprechen, ohne dabei eine Wertung über deren Gefährdungspotential abgeben zu können.

Bis dahin sind es allerdings reine Vermutungen, ob diese plausiblen Schlussfolgerungen der Realität entsprechen oder nur eine niedliche Verschwörungstheorie befeuern. Daher war es unerlässlich, das Bundesverteidigungsministerium hierzu zu befragen. Die Antwort bestätigt jedoch weitgehend die geäußerten Vermutungen (Auszüge aus der Antwort- Email):

Bei den in Rede stehenden 280.000 Ereignissen handelt es sich um die Summe der unberechtigten oder schadhaften Zugriffsversuche auf das IT-System der Bundeswehr im genannten Zeitraum. Die Quelle der erkannten und abgewehrten, überwiegend automatisierten, Zugriffsversuche sind im Wesentlichen technische Überwachungs- und Abwehrsysteme an den Netzübergängen des IT-Systems der Bundeswehr zum Internet.

Man gibt zu, dass ziemlich pauschal Zugriffsversuche erkannt und abgewehrt werden, wozu auch augenscheinlich alle harmlosen „PING“ Anfragen gehören, wie es im Test gezeigt und nachgewiesen wurde.

Mit der bewusst gewählten Formulierung: ‚die als Cyber-Attacken gegen die Bundeswehr gewertet werden können‚, bringt Frau Bundesministerin klar zum Ausdruck, dass die genannten Zahlen nicht 1:1 mit (möglichen) Cyber-Attacken gleichzusetzen sind. So werden meist viele erkannte Einzelereignisse durch eine nichtberechtigte Aktion/Person/Organisation ausgelöst. Eine Zuordnung zu einer Cyber-Attacke, die aus mehreren Phasen und Einzelaktivitäten besteht, ist aber sehr schwierig, eine konkrete Zuordnung zu einem Auslöser/Akteur/“Gegner“(sog. Attribution) in der Regel nahezu unmöglich.

Mit dieser Aussage wird vom Bundesverteidigungsministerium quasi zugegeben, dass die Aussage der Bundesverteidigungsministerin übertrieben war. Keineswegs wurde es in den Medien so deutlich, dass jene 280000 Cyberangriffe auch zu einem unbestimmt hohen Anteil völlig harmlose und normale Zugriffsversuche waren.

Handelt es sich nun um eine Fakenews oder nicht?

or Eine Fakenews im Sinne einer Lüge war die Aussage der Bundesverteidigungsministerin nicht, aber im Sinne von übertriebener Propaganda war es sicherlich.

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Werden Fakenews durch Fakes wahrer?

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In der Mathematik gibt es eine Regel, die besagt, dass „Minus mal Minus Plus wird“. Kann man das in andere Bereiche wie beispielsweise die Politik übertragen? Versucht wird es durchaus. So ist wegen des Giftgas- Zwischenfalls in Syrien (würde man von Giftgas- Angriff sprechen, hätte man bereits eine Position eingenommen) versucht worden.

Bleibt man zum aktuellen Zeitpunkt bei den Fakten, wurden vorwiegend durch giftige Substanzen in der syrischen Stadt Khan Scheikhoun viele Menschen getötet oder verletzt. Etwa zur gleichen Zeit fand ein Luftangriff der syrischen Armee auf dieses Zielgebiet statt. Eigentlich ist bislang nicht mehr erwiesen. Dennoch werden spekulativ Verantwortliche festgelegt.

Der Giftgasangriff in Idlib übertrifft das übliche Maß an Grausamkeit und lässt den Westen seine Position überdenken. Will Assad noch einmal die roten Linien testen?

So beginnt ein Artikel der FAZ zu den Geschehnissen am 5. April 2017. Der Autor des Artikels, Christoph Ehrhardt, geht sogar noch weiter und weiß augenscheinlich genau, wer dafür verantwortlich zu machen ist:

Die Krankenhäuser sind ein gängiges Ziel syrisch-russischer Luftangriffe. Dass Hubschrauber des Assad-Regimes mit Chlorgas versetzte Fassbomben abwerfen, ist keine Seltenheit.

Ob Krankenhäuser explizit als Ziele für Luftangriffe von der syrischen oder russischen Luftwaffe ausgesucht werden, ist eine heftige Anschuldigung. Und dass allein das Assad- Regime Chlorgas als Kampfmittel einsetzen würde und zwar nicht „selten“, ist keine gesicherte Information. Es existieren auch Spekulationen über türkische Chlorgasangriffe auf syrischem Territorium und die USA haben zwar in Kunduz (Afghanistan) eine Klinik von Ärzte ohne Grenzen bombardiert, es wird aber eher als Versehen denn als Absicht dargestellt. Weil gewisse Umstände Theorien plausibel erscheinen lassen, sollten Journalisten dennoch nicht daraus Tatsachen konstruieren. Zumindest sollten sie es in ihren Artikeln deutlich machen, dass es sich nicht um Fakten handelt, wenn es keine sind.

Ausgerechnet ein ausgewiesener Nahost- Experte und ehemaliger Auslandskorrespondent der ZEIT untergräbt mit seinen Behauptungen, die er auch in einem Buch zusammengefasst hat, die vorherrschende Meinungsdeutung der westlichen Hemisphäre. Der Wirtschaftsberater Michael Lüders will eine False- Flag Operation erkannt haben, also der Giftgas- Angriff soll demnach dem syrisch- russischen Bündnis zugeschoben werden. Das sind ebenso heftige Anschuldigungen. Schließlich liefert Herr Lüders plausible Argumente. Allerdings bezieht er sich auf vorhergehende Ereignisse und leitet daran Thesen ab, indem er korrekterweise klarstellt, dass Politiker und Medienvertreter durch das Umdeuten von Tatsachen sogenannte alternative Fakten schaffen würden.

So darf man durchaus seine Auffassung, dass in Syrien ein Stellvertreterkrieg zwischen USA, Türkei und weiteren westlichen Staaten auf der einen Seite und das Assad- Regime, Russland und Iran auf der anderen geführt wird, teilen. Weitere Interessengruppen wie der IS, die Al Nusra- Front und gar China verfolgen ihre ganz eigenen Interessen, während das ursprüngliche Aufbegehren des syrischen Volkes als Teil des sogenannten arabischen Frühlings in Vergessenheit geraten ist und eigentlich keine Bedeutung mehr besitzt.

Kurioserweise entkräftet er angebliche Beweise, indem er genau an deren Defiziten ansetzt und eine Gegenargumentation präsentiert. So weicht er auf den früheren Giftgas- Angriff aus, der im August 2013 in der Stadt Ghouta durchgeführt wurde. Die Intervention der USA wurde damals nach seinen Angaben ausgesetzt, weil Präsident Obama von den eigenen Geheimdiensten gewarnt wurde, weil Zweifel an der Verantwortlichkeit Assads bestünden. Die Untersuchung des Giftgases durch britische und amerikanische Dienste hätten ergeben, dass es nicht aus Beständen des Assad- Regimes stammen würde. Lüders führt weiter aus, dass alle Indizien dafürsprechen würden, dass die Türkei die Al Nusra- Front mit jenem Giftgas bewaffnet hätte.

Das klingt plausibel. Aber auch wenn Sachverhalte vernünftig und plausibel klingen, werden daraus immer noch keine Fakten. Nun muss man eigentlich hinterfragen, woher verdammt nochmal dieser Lüders diese Dinge weiß?

Er bezieht sich in diesem Fall auf sein eigenes Buch „Die den Sturm ernten: Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“. Darin wiederum gibt er als Quelle den renommierten US- Journalisten Seymour Hersh an, der sich wiederum auf einen nicht benannten US- Geheimdienstmitarbeiter berufen hatte. Fakten werden nicht zu solchen, indem man auf Quellen verweist, die selbst keine Fakten, sondern ebenfalls nur Plausibilitäten liefern. Dass bereits die Ausführungen des Seymour Hersh kritisch hinterfragt wurden, wird dabei unterschlagen. Der Investigativjournalist und Blogger Eliot Higgins analysierte die Hersh- Texte seinerzeit im Guardian. Darin stellte er klar, dass die Organisation for the Prevention of Chemical Weapons (OPCW) den Einsatz von Chemiewaffen durch Rebellengruppen weitgehend ausschließen konnte. Logistik und Lagerung von dermaßen gefährlichen Kampfstoffen sowie der fachgerechte Umgang damit wären nicht möglich gewesen. Außerdem hatte das Assad- Regime durch mehrtägiges Bombardement dieses Gebietes eine nähere Untersuchung verhindert. Und die Erklärungen, des syrischen Militärs, dass Rebellen für den Giftgas- Angriff verantwortlich seien, blieben sehr abenteuerlich.

Die vorliegenden Beweise hinsichtlich der Art, der Qualität und der Menge des eingesetzten Sarin legen nahe, dass die Täter Zugang zum Chemiewaffenarsenal des syrischen Militärs hatten – sowie die nötige Ausrüstung und Expertise, um große Mengen chemischer Kampfstoffe sicher zu handhaben.

So lautete das Ergebnis im Bericht des UN- Menschenrechsrates. Darüber hinaus stützt sich Lüders wegen seiner Behauptungen, dass der türkische Geheimdienst mit der Al Nusra- Front zusammenarbeiten würde, auf einen Spiegel- Artikel vom 17. Januar 2015. So sollen die Chemiewaffen schließlich in die Hände der Rebellen gelangt sein. Richtig ist, dass es diesen Konvoi gegeben hat und dass Waffen transportiert wurden. Nicht richtig ist, dass auf diesem Weg Chemiewaffen an die Rebellen ausgeliefert wurden. Das entkräftet freilich nicht den sehr naheliegenden Verdacht, dass der türkische Geheimdienst unter Billigung Erdogans persönlich unbestimmte Rebellengruppen in Syrien unterstützen. Aber es beweist auch keinesfalls, dass eben nicht das Assad- Regime für den Giftgas- Angriff verantwortlich war.

Zitat Michael Lüders:

Wir wissen, dass die Türkei die Nusra-Front und andere Gruppierungen mit Sarin-Gas ausgestattet hat. Und sie stellen Sarin-Gas selber her. Die ersten, die darüber berichtet haben, waren türkische Journalisten, darunter Can Dündar, den wir in Deutschland kennen.

Das ist falsch. Selbst Can Dündar, der maßgeblich über jene Waffenlieferungen berichtete, weißt energisch zurück, dass es sich bei den Waffenlieferungen um Giftgas handelte.

„Viele Köche verderben den Brei“ gilt als alte Binsenweisheit und trifft irgendwie auch auf sogenannten Qualitätsjournalismus zu. Je mehr Journalisten sich auf ein Thema stürzen und eigene Interpretationen untermengen, ohne diese als solche zu kennzeichnen, lassen sie die Konsumenten in einem Informations- Chaos zurück. Es ist den meisten Menschen kaum noch möglich, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Schlussfolgerungen und Plausibilitäten sind keine Fakten und werden es auch nicht, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Bleibt man bei den Fakten, sind jene Taten schlimme Kriegsverbrechen, deren Täter man leider nur selten zur Rechenschaft ziehen kann. Und was nützt es, wenn man es könnte? So ist längst erwiesen, dass George W. Bush aufgrund falscher Tatsachen einen Angriffskrieg gegen den Irak inszenierte. Der Ex- US Präsident musste sich nie dafür verantworten.

Vermutlich gibt es dazwischen noch etliche alternativen Wahrheiten und je nach eigener Weltanschauung sucht sich jeder seine bevorzugte aus. Es geht in diesem Artikel auch nicht darum, die einen gegen die anderen Fakenews auszuspielen, sondern es soll deutlich gemacht werden, dass Fakenews die Informationspolitik infiltriert haben und kaum noch zu entlarven sind. Es ist bisweilen anstrengend und definitiv ernüchternd, dass man dem Nachrichtenangebot nicht mehr trauen kann, ganz gleich, welche Informationskanäle man bevorzugt.

Weiterführende Quellen: Tagesschau  & Human Rights Watch

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Müssen sich Flüchtlinge prostituieren?

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Laut einem Artikel der Berliner Morgenpost ist im Umfeld des Berliner Tiergartens eine Prostituierten- Szene von jungen Flüchtlingen entstanden. Die Überschrift des Artikels lautet:

Mehr junge Flüchtlinge in Berlin müssen sich prostituieren

Quelle: BerlinerMorgenpost Foto: picture alliance
Quelle: BerlinerMorgenpost Foto: picture alliance

Im relativ detaillosen Beitrag wird folgender Kausalzusammenhang dargestellt:

Hilfsorganisationen schickten demnach Streetworker in den Park, um die Flüchtlinge aufzuklären und ihnen Unterstützung anzubieten. Viele würden aus den Hilfesystemem herausfallen, sobald sie das 18. Lebensjahr vollendet hätten. Die jungen Männer dürften zum größten Teil nicht zur Schule gehen oder einen Deutschkurs machen. Auch sei ihnen nicht erlaubt, eine Arbeit aufzunehmen.

Es klingt unvorstellbar, dass Flüchtlinge, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, dadurch aus dem Hilfesystem herausfallen würden. Wenn man unter dem Begriff „Hilfesystem“ die staatliche Unterstützung von Asylbewerbern versteht, ist das definitiv eine Falschaussage. Es wird suggeriert, dass Flüchtlingen Schulbesuche, Deutschkurse sowie die Möglichkeit der Teilnahme am Berufsleben entzogen würde. Das sind schwere Vorwürfe an die verantwortlichen Behörden.

Andere Medien, wie die Welt berichten ebenfalls über dieses Thema.

Junge Flüchtlinge sehen sich zur Prostitution gezwungen

Allerdings werden die Hintergründe etwas deutlicher. Sie greifen auf den Ursprungsartikel des Radiosenders RBB|24 zurück, während sie sich eine sehr eigenwillige Beurteilung zugestehen.

Junge Flüchtlinge prostituieren sich im Tiergarten

Dort wird primär die Situation eines 18. Jährigen aus Afghanistan geschildert. Kurioserweise soll sich dieser nach eigenen Angaben selbst allerdings gar nicht prostituiert haben. Zwar ist die Existenz der Prostitution dort definitiv nicht wegzuleugnen, jedoch wird hierfür keine Primärquelle konsultiert.

Als wir Nawid fragen, wovon er lebt, ob er sich prostituiert, grinst er kurz, schnalzt mit der Zunge und schüttelt dann energisch den Kopf: „Nein, ich mache das nicht, aber es gibt hier Jungs, die mit älteren Männern Sex haben, zum Beispiel ein Freund von mir.

Der Begriff „Flüchtling“ wird ziemlich überstrapaziert und soll augenscheinlich eine Opferrolle unterstreichen. Genaugenommen wird das Schicksal dieses jungen Mannes stellvertretend für viele andere aufgezeichnet und daraus geschlussfolgert, dass diese Prostitutions- Szene durch eben solche Personen etabliert würde. Das mag stimmen, allerdings sollte man den Einzelfall betrachten und nichts hineininterpretieren, was nicht nachgewiesen ist. Aber hier geht es nicht darum, zu beurteilen, ob es eine solche Szene gibt und wie diese sich zusammensetzt. Es geht um die Artikelüberschrift, die durchaus als massiven Vorwurf an die Behörden verstanden werden kann. Im Bericht des Senders findet man im Gegensatz zum Artikel der Berliner Morgenpost eine aufschlussreiche Passage:

Im schummrigen Licht der Straßenlaterne zeigt er uns seine Papiere: ein Einreisedokument aus Slowenien von Januar 2016 und einen Ausweis eines Verkehrsverbunds in Sachsen-Anhalt, auf dem sein Geburtsdatum steht. Nawid ist 18 Jahre alt. Er hat außerdem eine Duldung bei sich, die rot durchgestrichen ist. Das bedeutet, dass er abgeschoben werden soll. Als er davon erfahren hatte, sei er abgehauen, erzählt Nawid. Jetzt will er sich in Berlin durchschlagen: „Ich habe kein Geld und kann nirgends hin, weil sie mich sonst festnehmen“, sagt Nawid.

Das erklärt dann einiges. Der abgelehnte Asylbewerber sollte demnach abgeschoben werden und dieser ist untergetaucht, um sich der Abschiebung zu entziehen. Der junge Mann hält sich demnach illegal in Deutschland auf, was wiederum erklärt, wieso er keine Schule besuchen darf, keinen Deutschkurs bewilligt bekommt und auch vom Staat keine Unterstützung erfährt. Die Situation stellt sich völlig anders dar, als es der Artikel der Berliner Morgenpost suggerieren möchte. Bei allem Verständnis für das sicherlich schlimme Schicksal des jungen Mannes aus Afghanistan, Flüchtlinge werden sicher nicht zur Prostitution wegen der Unterstützungsverweigerung der Behörden gezwungen.

Update vom 19. April 2017:

Der Tagesspiegel hat sich nun auch diesem Thema angenommen. Im Artikel (Wie Flüchtlinge in die Prostitution abdriften) wird inklusive der Überschrift der Begriff „Flüchtling“ 17 mal verwendet.

Eine ganze Szene hat sich entwickelt, sie besteht zum Großteil aus Flüchtlingen.

Der Interviewpartner, Herr Ralf Rötten von der Organisation „Hilfe für Jungs“ bestätigte Falschmeldung.info gegenüber, ausschließlich den Begriff „Geflüchtete“ verwendet zu haben. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Die Aussagen im Artikel des Tagesspiegels sind demnach unrichtig. 

Auch der Tagesspiegel lässt sich zu einem konkreten Fall hinreisen:

Rötten kennt den Fall eines abgelehnten Iraners, der in seiner Heimat wegen Vergewaltigung angeklagt wurde. Darauf steht die Todesstrafe. In Wirklichkeit hatte der Mann nur vorehelichen Sex. Jetzt kehrt er nicht zurück.

Leider versäumt es der Tagesspiegel, wichtige Details zum selbst vorgebrachten Beispiel zu erwähnen. Woher weiß Herr Rötten offensichtlich so genau, dass dieser Iraner fälschlicherweise in seiner Heimat wegen einer Vergewaltigung angeklagt wurde? Oder wird dieses konkrete Beispiel vom Tagesspiegel nach eigenem Ermessen umgedeutet?

Herr Rötten gibt Falschmeldung.info gegenüber an, dass ihm ein Anklageschreiben wegen Vergewaltigung der iranischen Staatsanwaltschaft vorgelegen habe und der iranische Kulturmediator des Vereins erklärt habe, dass vorehelicher Sex im Iran als Vergewaltigung eingestuft würde. Die Wirklichkeit, die vom Tagesspiegel in diesem Fall suggeriert wird, erweist sich als ziemlich zuvorkommend gegenüber einem mutmaßlichen Vergewaltiger. Denn selbst wenn das Strafmaß für vorehelichen Sex im Iran mit Vergewaltigung gleichzusetzen sein sollte, ist es doch eher zweifelhaft, dass in der Anklageschrift der Straftatbestand nicht exakt benannt wird. Und sollte es sich dennoch um ein perfides Wortspiel der iranischen Justiz gehandelt haben, ist es ausgesprochen seltsam, dass in der Anklageschrift nicht auch der weibliche Sexualpartner aufgeführt wurde. Denn die Frau hat sich der gleichen Tat strafbar gemacht, auch wenn man aus Sicht der hiesigen Gesetzgebung gar keine Straftat feststellen würde. Und was ist eigentlich mit der Frau geschehen?

Es ist nachvollziehbar, dass jemand nicht in ein Land zurückkehren will, wo ihn möglicherweise die Todesstrafe erwartet. Aber genau das wäre ein sehr guter Grund, Asyl zu erhalten und eine Abschiebung in den Iran würde unter diesen Umständen nicht der schärfste Beamte im BAMF anordnen. Es ist durchaus im Bereich des Möglichen, dass der Iraner gar nicht in den Iran abgeschoben werden sollte, sondern unter solchen Umständen bestenfalls in das EU- Land zurückgeführt werden sollte, wo er erstmals registriert wurde. Das sind ebenfalls reine Spekulationen, soll aber zur umfänglichen Beurteilung beitragen, soweit das überhaupt möglich sein sollte.

 

 

 

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