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Werden Fakenews durch Fakes wahrer?

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In der Mathematik gibt es eine Regel, die besagt, dass „Minus mal Minus Plus wird“. Kann man das in andere Bereiche wie beispielsweise die Politik übertragen? Versucht wird es durchaus. So ist wegen des Giftgas- Zwischenfalls in Syrien (würde man von Giftgas- Angriff sprechen, hätte man bereits eine Position eingenommen) versucht worden.

Bleibt man zum aktuellen Zeitpunkt bei den Fakten, wurden vorwiegend durch giftige Substanzen in der syrischen Stadt Khan Scheikhoun viele Menschen getötet oder verletzt. Etwa zur gleichen Zeit fand ein Luftangriff der syrischen Armee auf dieses Zielgebiet statt. Eigentlich ist bislang nicht mehr erwiesen. Dennoch werden spekulativ Verantwortliche festgelegt.

Der Giftgasangriff in Idlib übertrifft das übliche Maß an Grausamkeit und lässt den Westen seine Position überdenken. Will Assad noch einmal die roten Linien testen?

So beginnt ein Artikel der FAZ zu den Geschehnissen am 5. April 2017. Der Autor des Artikels, Christoph Ehrhardt, geht sogar noch weiter und weiß augenscheinlich genau, wer dafür verantwortlich zu machen ist:

Die Krankenhäuser sind ein gängiges Ziel syrisch-russischer Luftangriffe. Dass Hubschrauber des Assad-Regimes mit Chlorgas versetzte Fassbomben abwerfen, ist keine Seltenheit.

Ob Krankenhäuser explizit als Ziele für Luftangriffe von der syrischen oder russischen Luftwaffe ausgesucht werden, ist eine heftige Anschuldigung. Und dass allein das Assad- Regime Chlorgas als Kampfmittel einsetzen würde und zwar nicht „selten“, ist keine gesicherte Information. Es existieren auch Spekulationen über türkische Chlorgasangriffe auf syrischem Territorium und die USA haben zwar in Kunduz (Afghanistan) eine Klinik von Ärzte ohne Grenzen bombardiert, es wird aber eher als Versehen denn als Absicht dargestellt. Weil gewisse Umstände Theorien plausibel erscheinen lassen, sollten Journalisten dennoch nicht daraus Tatsachen konstruieren. Zumindest sollten sie es in ihren Artikeln deutlich machen, dass es sich nicht um Fakten handelt, wenn es keine sind.

Ausgerechnet ein ausgewiesener Nahost- Experte und ehemaliger Auslandskorrespondent der ZEIT untergräbt mit seinen Behauptungen, die er auch in einem Buch zusammengefasst hat, die vorherrschende Meinungsdeutung der westlichen Hemisphäre. Der Wirtschaftsberater Michael Lüders will eine False- Flag Operation erkannt haben, also der Giftgas- Angriff soll demnach dem syrisch- russischen Bündnis zugeschoben werden. Das sind ebenso heftige Anschuldigungen. Schließlich liefert Herr Lüders plausible Argumente. Allerdings bezieht er sich auf vorhergehende Ereignisse und leitet daran Thesen ab, indem er korrekterweise klarstellt, dass Politiker und Medienvertreter durch das Umdeuten von Tatsachen sogenannte alternative Fakten schaffen würden.

So darf man durchaus seine Auffassung, dass in Syrien ein Stellvertreterkrieg zwischen USA, Türkei und weiteren westlichen Staaten auf der einen Seite und das Assad- Regime, Russland und Iran auf der anderen geführt wird, teilen. Weitere Interessengruppen wie der IS, die Al Nusra- Front und gar China verfolgen ihre ganz eigenen Interessen, während das ursprüngliche Aufbegehren des syrischen Volkes als Teil des sogenannten arabischen Frühlings in Vergessenheit geraten ist und eigentlich keine Bedeutung mehr besitzt.

Kurioserweise entkräftet er angebliche Beweise, indem er genau an deren Defiziten ansetzt und eine Gegenargumentation präsentiert. So weicht er auf den früheren Giftgas- Angriff aus, der im August 2013 in der Stadt Ghouta durchgeführt wurde. Die Intervention der USA wurde damals nach seinen Angaben ausgesetzt, weil Präsident Obama von den eigenen Geheimdiensten gewarnt wurde, weil Zweifel an der Verantwortlichkeit Assads bestünden. Die Untersuchung des Giftgases durch britische und amerikanische Dienste hätten ergeben, dass es nicht aus Beständen des Assad- Regimes stammen würde. Lüders führt weiter aus, dass alle Indizien dafürsprechen würden, dass die Türkei die Al Nusra- Front mit jenem Giftgas bewaffnet hätte.

Das klingt plausibel. Aber auch wenn Sachverhalte vernünftig und plausibel klingen, werden daraus immer noch keine Fakten. Nun muss man eigentlich hinterfragen, woher verdammt nochmal dieser Lüders diese Dinge weiß?

Er bezieht sich in diesem Fall auf sein eigenes Buch „Die den Sturm ernten: Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“. Darin wiederum gibt er als Quelle den renommierten US- Journalisten Seymour Hersh an, der sich wiederum auf einen nicht benannten US- Geheimdienstmitarbeiter berufen hatte. Fakten werden nicht zu solchen, indem man auf Quellen verweist, die selbst keine Fakten, sondern ebenfalls nur Plausibilitäten liefern. Dass bereits die Ausführungen des Seymour Hersh kritisch hinterfragt wurden, wird dabei unterschlagen. Der Investigativjournalist und Blogger Eliot Higgins analysierte die Hersh- Texte seinerzeit im Guardian. Darin stellte er klar, dass die Organisation for the Prevention of Chemical Weapons (OPCW) den Einsatz von Chemiewaffen durch Rebellengruppen weitgehend ausschließen konnte. Logistik und Lagerung von dermaßen gefährlichen Kampfstoffen sowie der fachgerechte Umgang damit wären nicht möglich gewesen. Außerdem hatte das Assad- Regime durch mehrtägiges Bombardement dieses Gebietes eine nähere Untersuchung verhindert. Und die Erklärungen, des syrischen Militärs, dass Rebellen für den Giftgas- Angriff verantwortlich seien, blieben sehr abenteuerlich.

Die vorliegenden Beweise hinsichtlich der Art, der Qualität und der Menge des eingesetzten Sarin legen nahe, dass die Täter Zugang zum Chemiewaffenarsenal des syrischen Militärs hatten – sowie die nötige Ausrüstung und Expertise, um große Mengen chemischer Kampfstoffe sicher zu handhaben.

So lautete das Ergebnis im Bericht des UN- Menschenrechsrates. Darüber hinaus stützt sich Lüders wegen seiner Behauptungen, dass der türkische Geheimdienst mit der Al Nusra- Front zusammenarbeiten würde, auf einen Spiegel- Artikel vom 17. Januar 2015. So sollen die Chemiewaffen schließlich in die Hände der Rebellen gelangt sein. Richtig ist, dass es diesen Konvoi gegeben hat und dass Waffen transportiert wurden. Nicht richtig ist, dass auf diesem Weg Chemiewaffen an die Rebellen ausgeliefert wurden. Das entkräftet freilich nicht den sehr naheliegenden Verdacht, dass der türkische Geheimdienst unter Billigung Erdogans persönlich unbestimmte Rebellengruppen in Syrien unterstützen. Aber es beweist auch keinesfalls, dass eben nicht das Assad- Regime für den Giftgas- Angriff verantwortlich war.

Zitat Michael Lüders:

Wir wissen, dass die Türkei die Nusra-Front und andere Gruppierungen mit Sarin-Gas ausgestattet hat. Und sie stellen Sarin-Gas selber her. Die ersten, die darüber berichtet haben, waren türkische Journalisten, darunter Can Dündar, den wir in Deutschland kennen.

Das ist falsch. Selbst Can Dündar, der maßgeblich über jene Waffenlieferungen berichtete, weißt energisch zurück, dass es sich bei den Waffenlieferungen um Giftgas handelte.

„Viele Köche verderben den Brei“ gilt als alte Binsenweisheit und trifft irgendwie auch auf sogenannten Qualitätsjournalismus zu. Je mehr Journalisten sich auf ein Thema stürzen und eigene Interpretationen untermengen, ohne diese als solche zu kennzeichnen, lassen sie die Konsumenten in einem Informations- Chaos zurück. Es ist den meisten Menschen kaum noch möglich, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Schlussfolgerungen und Plausibilitäten sind keine Fakten und werden es auch nicht, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Bleibt man bei den Fakten, sind jene Taten schlimme Kriegsverbrechen, deren Täter man leider nur selten zur Rechenschaft ziehen kann. Und was nützt es, wenn man es könnte? So ist längst erwiesen, dass George W. Bush aufgrund falscher Tatsachen einen Angriffskrieg gegen den Irak inszenierte. Der Ex- US Präsident musste sich nie dafür verantworten.

Vermutlich gibt es dazwischen noch etliche alternativen Wahrheiten und je nach eigener Weltanschauung sucht sich jeder seine bevorzugte aus. Es geht in diesem Artikel auch nicht darum, die einen gegen die anderen Fakenews auszuspielen, sondern es soll deutlich gemacht werden, dass Fakenews die Informationspolitik infiltriert haben und kaum noch zu entlarven sind. Es ist bisweilen anstrengend und definitiv ernüchternd, dass man dem Nachrichtenangebot nicht mehr trauen kann, ganz gleich, welche Informationskanäle man bevorzugt.

Weiterführende Quellen: Tagesschau  & Human Rights Watch

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