Seit der Messerattacke in Kandel (Rheinland- Pfalz), wo ein 15jähriges Mädchen von ihrem angeblich gleichaltrigen, afghanischen Ex- Freund getötet wurde, entfachte sich eine eigentlich unsinnige Debatte über die Altersfeststellung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern (UmA). Nachtrag vom 20. Februar 2018: Das inzwischen abgeschlossene Altersfeststellungsverfahren mit 2 unterschiedlichen Gutachten hat ergeben, dass der mutmaßliche Täter mindestens 17 Jahre und 6 Monate alt sein muss und womöglich sogar ca. 20 Jahre alt ist. Daraus ergibt sich ein Verfahren nach Jugendstrafrecht.
Leider wird die Diskussion über dieses heikle Thema überwiegend emotional geführt. Reflexartig führen Kritiker von solchen Alterstests Argumente auf, denen man kaum etwas entgegensetzen darf, möchte man nicht umgehend einer bestimmten politischen Strömung zugeordnet werden.
Quelle: Facebook- Diskussion
Argument 1: Das Alter eines Menschen kann nicht genau mit den zur Verfügung stehenden Methoden festgestellt werden, sodass solche Tests unsinnig sind.
Untermauert wird dieses Argument mit Statements von Leuten, die sich damit auskennen. So wird gerne Herr Montgomery zitiert:
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sieht das jedoch ganz anders: “Die Untersuchungen sind aufwendig, teuer und mit großen Unsicherheiten belastet“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Dabei könnten weder medizinische noch psychologische Verfahren den Geburtstag juristisch sicher bestimmen. Montgomery lehnt einen obligatorischen Alterstest grundsätzlich ab. “Wenn man das bei jedem Flüchtling täte, wäre das ein Eingriff in das Menschenwohl“, sagte er: “Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.” Nach den Regeln des Strahlenschutzes sei es nur im Rahmen eines Strafprozesses zulässig, das Alter medizinisch zu überprüfen. In Kandel, zum Beispiel, könnte der Afghane nun zu Recht untersucht werden – schließlich stehe er unter Verdacht.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Damit liefert der Präsident der Bundesärztekammer gleich das zweite, überzeugende Argument mit:
Argument 2: …wäre das ein Eingriff in das Menschenwohl. Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.
Was jedoch bei dessen Aussage gerne unbeachtet gelassen wird, ist die Pauschalität seiner Aussage (Wenn man das bei jedem Flüchtling täte…). Das entkräftet freilich nicht die Gefährlichkeit von Röntgenuntersuchungen. Jedoch soll gar nicht jeder Flüchtling einem Alterstest unterzogen und erst recht nicht ohne wichtigen Grund einer Röntgenstrahlung ausgesetzt werden.
Im Fall des Hussein K., der eine Studentin in Freiburg vergewaltigt und getötet hatte, wurde das tatsächliche Alter des Täters von dessen Vater mit 33 Jahren bestätigt. Der Täter selbst gab an, 17 Jahre alt zum Tatzeitpunkt gewesen zu sein. Nicht volljährig zu sein, wirkt sich im Prozess strafmildernd aus und beschert für Flüchtlinge generell erhebliche Vorteile für ihren Status. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund dieser Vorteile viele Flüchtlinge ihr Alter jünger angeben.
Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte daraufhin bundeseinheitliche Verfahren zur Altersfeststellung von mutmaßlich minderjährigen Asylbewerbern gefordert. Im Saarland müssten sich Flüchtlinge im Zweifel einer Prüfung anhand der Handknochen unterziehen, sagte die CDU-Politikerin. Bei 35 Prozent dieser Fälle sei festgestellt worden, dass es sich um Volljährige und nicht um Jugendliche handelte.
Quelle: Zeit
Im Saarland werden Hände trotzdem geröntgt. Am Klinikum Saarbrücken liefen nach Angaben der CDU von Februar 2016 bis November 2017 insgesamt 701 Untersuchungen. 243 unbegleitete minderjährige Ausländer wurden als volljährig erkannt.
Quelle: Bayrischer Rundfunk
Wenn also über ein Drittel der angeblich minderjährigen Flüchtlinge falsche Altersangaben macht, ist offenkundig ausreichend Anlass gegeben, dass man Überprüfungen durchführt. Diese sollen allerdings nach Auffassung von Kritikern zu teuer sein.
Für jedes Altersgutachten bezahlt die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie etwa 1500 Euro.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Man hat demzufolge im Saarland bei jenen 701 Untersuchungen einen finanziellen Aufwand von ca. 1.051 500 € aufbringen müssen. Das klingt viel. Man muss diese Kosten allerdings ins Verhältnis zu den Kosten setzen, die ein UmF mehr verursacht als ein volljähriger Flüchtling.
„Die Kosten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge explodieren“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Gerd Landsberg, der „Rheinischen Post“. Weil pro Monat pro minderjährigen Flüchtling 3000 bis 5000 Euro fällig würden, müssten die Kommunen für die derzeit über 65.000 jugendlichen Flüchtlinge schon schätzungsweise 2,7 Milliarden Euro zahlen.
Quelle: Welt
Man muss allerdings auch die Kosten für einen erwachsenen Flüchtling in die Rechnung einbeziehen.
Eine Frage, die leicht zu stellen ist – aber schwer zu beantworten. Eine zentrale Aufschlüsselung in Bund und Ländern gibt es nicht – selbst Monate nach Beginn der Debatte. Oftmals sind die Kosten sogar von Kommune zu Kommune verschieden – je nachdem, welche Verträge die Behörden vor Ort mit den Firmen für Containerbau oder mit den Sicherheitsdiensten abgeschlossen haben. Schätzungen sind nur grob. Die Länder rechneten circa mit 1000 Euro pro Flüchtling und Monat, 12.000 im Jahr, Städte wie Hagen und Braunschweig sogar mit 15.000 Euro.
Quelle: Berliner Morgenpost
Nimmt man nun die niedrigsten Kosten für einen UmA und die höchsten für einen erwachsenen Flüchtling, bleibt pro Person eine Differenz von 1800 €, die ein UmF pro Monat an Mehrkosten verursacht. Beim saarländischen Referenz- Beispiel ergibt sich allein für einen Monat ein Kostenfaktor von 437400 €. Man kann also klar sagen, dass das Argument mit den Kosten für diese Altersfeststellungen damit entkräftet ist.
Doch wie sieht es mit den Argumenten 1 und 2 aus?
Interessant diesbezüglich ist eine recht aktuelle Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik.
Um es unwissenschaftlich mit verständlichen Worten auszudrücken, was die Experten dazu mitteilen:
Bei den angewendeten Methoden wird nicht das exakte Alter bestimmt, sondern die untersuchten Personen werden in 4 Altersgruppen eingeordnet, die vollkommen ausreichen, um sicher eine Volljährigkeit festzustellen. Wenn sich kein eindeutiger Minderjährigkeitsausschluss ergibt, wird die Person als minderjährig eingestuft.
Der genaue Wortlaut kann hier nachgelesen werden: Erläuterungen zu einer „Stellungnahme“ v. BUMF, IPPNW und DKHW zum Thema „Altersfeststellung“ v. 13.12.2017
Also kann man mit den derzeit zur Verfügung stehenden Methoden zur Altersfeststellung entgegen aller Behauptungen in ausreichendem Maß eine Minderjährigkeit bzw. Volljährigkeit ermitteln.
Nun ist eigentlich nur noch das Gesundheitsrisiko durch die Röntgenuntersuchung als Argument gegen eine Altersfeststellung bei Flüchtlingen verblieben. Dieses ist auch nicht medizin- wissenschaftlich zu widerlegen. Hier gilt eigentlich der Grundsatz, ob der Vorteil einer solchen Untersuchung gegenüber dem Nachteil überwiegt. So wird es auch generell bei Patienten gehandhabt, denen man eine solche Diagnose- Methode nahelegt. Man kann eine Röntgen- Untersuchung jeder Zeit ablehnen, muss sich aber auch den Konsequenzen einer weiteren Behandlung bewusst sein, wenn wichtige Informationen nicht vorliegen. Nun werden Flüchtlinge bei einer angeordneten Altersfeststellung jedoch nicht aus medizinischen Gründen untersucht, sondern vorwiegend aus juristischen. Rechtlich ist das nicht zu beanstanden. Das kann die betreffende Person dennoch verweigern, muss allerdings auch in diesem Fall mit den daraus resultierenden Konsequenzen leben.
Eigentlich muss die Vorgehensweise des Staates in Bezug auf betrügerische Absichten einzelner Flüchtlinge jedem Bürger dieses Landes bizarr erscheinen. Es ist für jeden hier lebenden Bürger Realität sowie Normalität, dass man als Antragsteller bei Behördengängen die notwendigen Unterlagen vorlegen muss und Informationen bereitstellt. Es genügt eben nicht, hinkend in die Amtsstube beim Landesamt für Soziales zu spazieren, um einen Schwerbehindertenausweis zu erhalten. Man bekommt definitiv nicht die erhofften Leistungen, ohne umfassende Prüfungen und Gutachten. Vorwiegend muss man umfangreiche medizinische Unterlagen vorweisen. Nicht selten werden hierfür auch Röntgenaufnahmen angefordert. Nach Menschenwohl fragt niemand…
Es ist irgendwie unbegreiflich, dass Flüchtlinge im Prinzip keine Nachweise erbringen müssen, um Leistungen (Asyl) beantragen zu können. Politisch hat sich dieser Umstand längst als Desaster bewahrheitet. Hingegen müssen augenscheinlich die Behörden im Aufnahmestaat Deutschland dem Asylantragsteller nachweisen, ob dessen Angaben zur Identität, der Herkunft und zum Alter richtig oder falsch sind. Ist das BAMF also eine Ermittlungsbehörde? Das ist nur noch wenigen Leuten vermittelbar. Wie bei den eigenen Bürgern sollte die Beweislast bei den Asylsuchenden liegen. Das würde das gesamte Konzept vereinfachen.
Wer keine Nachweise über seine Identität, Herkunft oder sein Alter erbringen kann, muss zumindest aktiv mitwirken, diese Informationen zu beschaffen. Wer wirklich asylberechtigt ist, wird demzufolge auch in vollem Umfang an einer solchen Mitwirkung interessiert sein. So hat der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, einen logischen Vorschlag unterbreitet, der im Prinzip der Debatte um die Altersfeststellung den Wind aus den Segeln nimmt:
“Wer Röntgen als unzumutbaren Eingriff wertet, könnte übrigens auch einen anderen Weg wählen: Wer nicht nachweisen kann oder durch eine Untersuchung nicht belegen will, dass er unter 18 Jahren alt ist, wird als Erwachsener behandelt.”
Das ist keineswegs ungerecht, sondern folgerichtig. Flüchtlinge werden dadurch auch nicht benachteiligt. Hingegen beugt man Sozialbetrug vor, wofür das derzeit angewendete Konzept erst diese Motivation erzeugt.